Verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit und Armut bewirken auf die Dauer auch verfestigte generationenübergreifende Lebensmuster, in denen Bildung nicht mehr als Chance empfunden wird. Risikovermeidung sowie unmittelbarer persönlicher Nutzen werden in diesen Milieus immer wichtiger. Das ist im Kontext Armut hochrational, aber langfristig kontraproduktiv. Bildung ist immer riskant, ihre Funktionalität nie richtig klar. Gleichzeitig haben sich im sozialen „Unten“ solidarische Strukturen aufgelöst: „Wer heute scheitert, ist vermeintlich selbst schuld.“ Dadurch nehmen resignative Tendenzen in benachteiligten Milieus zu.
Frühe Prägungen in der Familie und Erfahrungen im Milieu bildeten einen “Habitus” aus, der “wie Leitplanken” einen Menschen lenke. Er entwickelt sich in einem Milieu und erzeugt eine in diesem Milieu funktionale Mentalität. Daher ist entscheidend, wie arm oder reich, gebildet oder ungebildet die Eltern sind und wie ermutigt oder entmutigt ein Kind in seiner Umgebung wird. El-Mafaalani überträgt den Habitus-Begriff von Pierre Bourdieu, also eine “dauerhaft verinnerlichte Grundhaltung, die die Art und Weise prägt, wie Menschen ihre Umwelt, die Welt und sich selbst wahrnehmen, wie sie fühlen, denken und handeln”, auf die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Ein über Kindheit und Jugend entwickelter Habitus ist schwer wieder loszuwerden, auch weil er Sicherheit gibt.
Wie auch immer man „Bildung“ definiert – als Ansammlung von wirtschaftlich verwertbaren Kompetenzen oder als umfassende Persönlichkeitsentwicklung –, beide Perspektiven haben El-Mafaalani zufolge eines gemeinsam: Sie sind weitgehend blind für soziale Ungleichheiten. Solange das so ist, könnten auch gutgemeinte Maßnahmen wie der Ausbau der frühkindlichen Erziehung keine ausreichend ausgleichende Wirkung entfalten. Denn die zusätzlichen Angebote werden vor allem von privilegierten Familien angenommen, ihre Kinder profitieren stärker davon, so dass sich der Abstand zu den benachteiligten Kindern sogar noch vergrößern kann.
Privilegierte und nicht-privilegierte Kinder unterscheiden sich vor allem in ihren Lebenswelten und Erfahrungshorizonten – diese Unterschiede kann Unterricht alleine gar nicht ausgleichen. Unter anderem deswegen sind auch die Einbindung von Eltern und Mentorenprogrammen so wichtig.
Wer Ungleichheit reduzieren will, darf nicht Ungleiches gleichbehandeln, sondern muss umfassend und zielgerichtet „Ungleiches ungleich behandeln“.
Die Stiftungsgruppe entwickelt und praktiziert in Kooperation mit dem Jobcenter und anderen Mittelgebern seit vielen Jahren innovative Ansätze, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Homepage: www.mafaalani.de
Ausführlicher Vortrag: https://www.youtube.com/watch?v=9KvDU89SBZw